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Kontrollstelle vor "Blockupy Frankfurt" 2012

Das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main hat mit Urteil vom 10. Januar 2014 festgestellt, dass die am 17. Mai 2012 durchgeführten polizeilichen Maßnahmen (Freiheitsentziehung durch Anhalten eines Reisebusses) im Zusammenhang mit den Demonstrationen zu „Blockupy Frankfurt 2012“ rechtmäßig waren. Das in der Pressemitteilung zu dem Urteil vom 10. Januar 2014 erwähnte Urteil des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main zu der Kontrollstelle vor "Blockupy Frankfurt" 2012  vom  3. Juli 2013, 5 K 1101/13.F., finden Sie hier im Volltext.

Verwaltungsgericht Frankfurt am Main, Urteil vom 03. Juli 2013, 5 K 1101/13.F

Leitsatz

 

1. Eine Kontrollstelle im Sinne des § 18 Abs. 2 Nr. 5 HSOG ist auch dann an einem "öffentlich zugänglichen Ort" eingerichtet, wenn sie sich in einer nicht allgemein zugänglichen Autobahnmeisterei befindet, da diese nicht durch eine Privatsphäre geschützt wird.

2. Außerhalb der präventiven Befugnis zur Videographie einer Identitätsfeststellung nach § 14 Abs. 6 HSOG besteht zwecks Eigensicherung der Polizeivollzugsbeamten die Befugnis zur Datenerhebung durch Videographie aufgrund der allgemeinen Ermächtigung des § 13 Abs. 1 Nr. 3 HSOG zur Erhebung personenbezogener Daten, solange diese Maßnahme nicht in konkretisierter und individualisierter Weise die Privat- oder gar Intimsphäre einer bestimmten Person beeinträchtigt.

Tenor

Es wird festgestellt, dass am 17. Mai 2012 die weitere Freiheitsentziehung der Klägerin nach Durchführung des Datenabgleichs durch den Beklagten rechtswidrig war. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Von den Kosten des Verfahrens haben die Klägerin neun Zehntel und der Beklagte ein Zehntel zu tragen.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Kostenschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der noch festzusetzenden Kosten abwenden, wenn der jeweilige Kostengläubiger nicht vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit der Anordnung und Durchführung einer erledigten polizeilichen Freiheitsentziehung.

Am Donnerstag, dem 17. Mai 2012, reiste die Klägerin mit einem Reisebus mit dem amtlichen Kennzeichen „A“ von A-Stadt kommend in Richtung Frankfurt am Main, um an den Protesten unter der Bezeichnung „Blockupy Frankfurt“ in der Bankenmetropole teilzunehmen. Diese waren versammlungsbehördlich vollziehbar verboten, wobei verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz hiergegen nur in geringem Umfang Erfolg hatte. Zusammen mit zwei anderen Reisebussen wurde der von der Klägerin benutzte Reisebus kurz vor 8.50 Uhr von der Autobahn A 5 zu einer Kontrollstelle auf dem Gelände der Autobahnmeisterei in Frankfurt Nieder-Eschbach geleitet. Im Zeitraum von 8.50 Uhr bis 15.40 Uhr fanden Identitätsfeststellungen, Durchsuchungen, Datenabgleiche und erkennungsdienstliche Behandlungen statt, in die der von der Klägerin benutzte Bus als letzter ab 14 Uhr einbezogen wurde und die wenigstens teilweise videographiert wurden. Nach Abschluss der Kontrollen wurde sämtlichen angetroffenen Personen ein bis zum Ablauf des Sonntags, dem 20. Mai 2012, befristetes Aufenthaltsverbot für den Frankfurter Innenstadtbereich erteilt und die Klägerin gegen 16 Uhr entlassen.

Am 28. Januar 2013 hat die Klägerin vor dem Verwaltungsgericht Frankfurt am Main Klage erhoben, mit der sie die Feststellung begehrt, dass die polizeiliche Freiheitsentziehung sowie das erteilte Aufenthaltsverbot rechtswidrig gewesen seien. Das Gericht hat durch Beschluss vom 11. März 2013 das Verfahren abgetrennt,soweit es das verhängte Aufenthaltsverbot betroffen hat, und durch Beschluss vom 15. März 2013 – 5 K 1585/13.F – insoweit das Verfahren eingestellt sowie die Kosten dem Beklagten auferlegt.Hinsichtlich des Begehrens, die Rechtswidrigkeit der erledigten Freiheitsentziehung festzustellen, hat das Gericht durch Beschluss vom 21. März 2013 eine Bewilligung von Prozesskostenhilfe mangels hinreichender Erfolgsaussicht abgelehnt. Dieser Beschluss ist in Rechtskraft erwachsen. Auf Anfrage des Gerichts, ob die Klage aufrechterhalten bleibe, hat die Klägerin weiter vortragen lassen.Die Klägerin bestreitet, dass die Voraussetzungen für eine Identitätsfeststellung vorgelegen hätten; unabhängig davon hätte die Durchführung der polizeilichen Maßnahmen objektiv nicht sieben Stunden lang andauern müssen und seien hinreichende organisatorische Vorbereitungen um eine kurzfristige richterliche Entscheidung herbeizuführen, unterlassen worden.

Die Klägerin beantragt,

festzustellen, dass die polizeiliche Freiheitsentziehung der Klägerin am 17. Mai 2012 in der Zeit von 8.30 Uhr bis gegen 16 Uhr dem Grunde nach und der Art und Weise nach rechtswidrig war.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung verteidigt der Beklagte das polizeiliche Vorgehen.

Die Kammer hat durch Beschluss vom 30. April 2013 den Rechtsstreit auf den Einzelrichter zur Entscheidung übertragen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten Bezug genommen.

Gründe

Das Gericht kann ohne – weitere – mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligen im Verhandlungstermin vom 14. Juni 2013 ihr Einverständnis hiermit erklärte haben (§ 101 Abs. 2 VwGO).

I.

Zwar ist die Klage zulässig (A.), doch im Wesentlichen nicht begründet (B.):

A.

Der Klägerin steht ein berechtigtes Interesse daran zu, die erledigte Freiheitsentziehung am 17. Mai 2012 nachträglich gerichtlich auf ihre Rechtmäßigkeit sowohl dem Grunde als auch der Art und Weise der Durchführung nach überprüfen zu lassen. Dabei kann dahinstehen, ob dies in entsprechender Anwendung von § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO als Fortsetzungsfeststellungsklage oder als allgemeine Feststellungsklage nach § 43 VwGO zu erfolgen hat (hierzu: Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 28. März 2012 - 6 C12.11 -, juris Rdnr. 15 = NJW 2012, 2676), denn das für beide Klagearten gleichermaßen erforderliche schutzwürdige Interesse der Klägerin an der begehrten Feststellung folgt schon aus der Betroffenheit des grundrechtsrelevanten Bereichs.

B.

In der Sache muss die Klage im Wesentlichen erfolglos bleiben,denn bis zum Abschluss des Datenabgleichs lagen die materiellen und formellen Voraussetzungen einer polizeilichen Freiheitsentziehung vor (1.), deren Art und Weise nicht zu beanstanden ist (2.):

1. Die Freiheitsentziehung der Klägerin war von dem polizeilich veranlassten Verlassen der A 5 durch den Bus „A“ bis zum Abschluss des Datenabgleichs nach § 18 Abs. 4, § 25 Abs. 1 Satz 4 des Hessischen Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (HSOG) dem Grunde nach gerechtfertigt (a.), darüberhinaus nicht mehr (b.)

a. Die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Einrichtung einer Kontrollstelle nach § 18 Abs. 2 Nr. 5 HSOG lagen vor. Nach dieser Befugnis kann die Identität einer Person festgestellt werden, die an einer Kontrollstelle angetroffen wird, die von der Polizeibehörde auf öffentlichen Straßen oder Plätzen oder an anderen öffentlich zugänglichen Orten eingerichtet worden ist, um eine der in § 100a der Strafprozessordnung bezeichneten Straftaten oder eine Straftat nach § 27 des Versammlungsgesetzes zu verhüten.Dabei handelt es sich um eine Vorfeldmaßnahme, die im Wesentlichen der Klärung eines Gefahrenverdachts dient, so dass es nicht darauf ankommt, ob bereits konkretisierte Verdachtsmomente gegen einzelne Personen vorlagen oder nicht. Im Hinblick auf die polizeiliche Lage, wie sie in dem Zeitraum, in dem die „Blockupy“-Proteste stattfinden sollten, bestand, waren diese tatbestandlichen Voraussetzungen jedenfalls für das Nebenstrafrecht in § 27 des Versammlungsgesetzes gegeben.Unerheblich ist dabei, dass es sich bei der Teilnahme an einer vollziehbar verbotenen Versammlung – die die Klägerin als Intention nicht völlig auszuschließen scheint – um eine Ordnungswidrigkeit nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 des Versammlungsgesetzes und keine Straftat nach § 27 des Versammlungsgesetzes handelt, denn für den folgenden Sonnabend, 19. Mai 2012, konnte, wenn auch unter strengen Auflagen, eine Versammlung stattfinden, deren Schutz zu gewärtigen war. Bei der vom Beklagten eingerichteten Kontrollstelle handelt es sich auch um eine solche im öffentlichen Raum.Maßgeblich dafür ist die Anknüpfung an die A 5; dass der eigentliche Ort der Kontrolle sich in einer Autobahnmeisterei, die nicht allgemein zugänglich gewesen sein dürfte – und nicht etwa am Rastplatz Spießwald –, befand, ändert hier nichts.

Ebenso wenig hat das Gericht Bedenken gegen die Ordnungsmäßigkeit der Kontrollanordnung vom 10. Mai 2012, Bl. 81 =88 d.A. Nach § 2 Abs. 3 der Verordnung zur Durchführung des Hessischen Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung und des Hessischen Freiwilligen-Polizeidienstgesetzes (HSOG-DVO) ist zuständige Stelle für die Erteilung der Zustimmung zur Einrichtung der Kontrollstelle nach § 18 Abs. 2 Nr. 5 HSOG die Behördenleitung der die Kontrollstelle einrichtenden Polizeibehörde oder eine von dieser beauftragte Bedienstete oder ein von dieser beauftragter Bediensteter. Der Polizeipräsident des Polizeipräsidiums Frankfurt am Main hat durch Verfügung vom 4. November 2009 (Bl. 115 f. = Bl.119 f. d.A.) von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht und seine Befugnis auf den Leiter oder die Leiterin der Abteilung Einsatz, im Fall dessen oder deren Verhinderung, den Leiter oder die Leiterin des Abteilungsstabes, übertragen (Einzelheiten der Aufbauorganisation siehe im Erlass über die Organisation und Zuständigkeit der hessischen Polizeipräsidien vom 18. April 2010,StAnz. 20/2010 S. 1402). Zwar lässt der Normbefehl des § 18 Abs. 2Nr. 5 Halbsatz 2 Alt. 1 HSOG die Auffassung zu, die Einrichtung der Kontrollstelle bedürfe einer Zustimmung des Hessischen Ministeriums des Innern und für Sport im Erlasswege, was für eine jeweils einzelfallbezogene Überprüfung spräche, doch schließt die Verwendung des Plurals bei der Delegationsbefugnis („oder von ihm benannter Stellen“) eine normative Übertragung durch eine Rechtsverordnung nach § 114 Satz 1 HSOG – wie hier geschehen – gerade nicht aus.

Auch konnte ausnahmsweise von einer weitergehenden Begründung nach § 18 Abs. 6 HSOG als der Ankündigung, dass die Businsassen nebst Gepäck kontrolliert und einer Identitätsfeststellung unterzogen würden, abgesehen werden, da aufgrund der Umstände des Antreffens unter den Beteiligen insoweit keine Unklarheiten bestanden haben dürften.

Eine der möglichen Rechtsfolgen hieraus ist, dass die Klägerin nach § 18 Abs. 4 Alt. 1 HSOG und im weiteren Verlauf – nach Feststellung ihrer Identität durch Erhebung personenbezogener Daten – nach § 25 Abs. 1 Satz 4 HSOG für die Dauer des Datenabgleichs nach § 25 Abs. 1 Satz 2, 3 HSOG festgehalten werden durfte. Die zugrundeliegende, nur eingeschränkt verwaltungsgerichtlich überprüfbare Ermessensbetätigung bei der Entscheidung für dieses Vorgehen lässt keine Fehlerhaftigkeit erkennen. Darüber hinaus bestehen hinsichtlich des zeitlichen Ausmaßes keine durchgreifenden Bedenken gegen die –verwaltungsgerichtlich uneingeschränkte überprüfbare –Verhältnismäßigkeit dieser Maßnahme. Vorfeldkontrollen sind dem Schutz der Friedlichkeit und des unbewaffneten Auftretens einer Versammlung wenigstens förderlich und damit für die Zweckerreichung geeignet. Sie sind auch erforderlich, da andere, ebenso geeignete,aber mildere Mittel weder aufgezeigt wurden noch sonst erkennbar geworden sind. Schließlich ist die Angemessenheit des Vorgehens angesichts des polizeilich verfolgten Zwecks und der daraus folgenden Beeinträchtigungen der Anreisenden, unter ihnen die Klägerin, zu bejahen. Wegen des Kontrollumfangs von 187 Personen in drei Reisebussen war hierfür ein gewisser Zeitraum erforderlich,der im Fall der Klägerin noch nicht überschritten wurde. Geht man davon aus, dass mit der Kontrolle der Insassen des von der Klägerin benutzten Busses gegen 14 Uhr begonnen wurde und gewichtet man die Verteilung der kontrollierten Personen etwa gleichmäßig, hätte der Zeitbedarf für die vorangehende Überprüfung von rund 120 Personen etwa fünf Stunden betragen, was – selbst bei Annahme einer parallelen Durchführung der Kontrollen – eben den von der Klägerin in ihrer Klageschrift auf S. 3 angeführten Zeitbedarf „von mehreren Minuten“ ergeben musste.

Die polizeiliche Freiheitsentziehung während der Identitätsfeststellung sowie des Datenabgleichs war auch nicht deshalb rechtswidrig, da nicht sofort nach § 33 Abs. 1 Satz 1 HSOGeine richterliche Entscheidung eingeholt wurde. Zwar ist die zeitliche Begrenzung einer Freiheitsentziehung zum Zwecke der Identitätsfeststellung durch § 35 Abs. 2 HSOG auf insgesamt zwölf Stunden nicht dahin zu verstehen, dass die Polizei aus eigner Machtvollkommenheit diesen Zeitraum ausnützen könne, ohne sich unverzüglich um eine richterliche Entscheidung zu bemühen (vgl.Bundesverfassungsgericht, Beschluss des Zweiten Senats vom 15. Mai 2002 – 2 BvR 2292/00 –, Abs.-Nr. 26, BVerfGE 105, 239<248 f.>) und erstreckt sich diese Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ihrem eindeutigen Wortlaut nach schon nicht mehr auf den nachfolgenden Datenabgleich. Jedoch konnte hier nach § 33 Abs. 1 Satz 2 HSOG vom Einholen einer richterlichen Entscheidung ausnahmsweise abgesehen werden (siehe auch Oberlandesgericht Frankfurt am Main, Beschluss vom 23. Juli 2007– 20W 129/07 –, juris, Rn. 17). Diese richterliche Entscheidung – die inhaltlich eine Freiheitsentziehung für die Dauer einer erforderlichen Identitätsfeststellung und (im Fall der Klägerin im Wesentlichen nur:) des Datenabgleichs zum Gegenstand gehabt hätte – hätte nach § 33 Abs. 2 Satz 2 HSOGi.V.m. § 420 Abs. 1 Satz 1 FamFG zunächst eine persönliche Anhörung der Betroffenen durch das Amtsgericht vorausgesetzt, so dass der mit ihrer Einholung verbundene Zeitraum wegen des zurückzulegenden Weges von der Kontrollstelle zum Amtsgericht sowie der notwendigen Registrierung der Betroffenen und Aktenanlage, evtl. auch Transportfragen, jedenfalls länger gedauert hätte als die polizeiliche Maßnahme. Damit wäre die Einholung einer richterlichen Entscheidung zu einer bloß freiheitsentziehungsverlängernden Formalie geworden, die – im hypothetischen Fall eines entsprechenden Vorgehens – genau deswegen ebenso hätte beanstandet werden können; hierin liegt ein wesentlicher Unterschied zu dem Sachverhalt, der dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 15. Mai 2002 zugrundelag: die Freiheitsentziehung war nicht mit der Verbringung in eine Gewahrsamseinrichtung verbunden. Eine Verpflichtung der Polizeibehörde, sich gegenüber dem zuständigen Amtsgericht zu bemühen, dass an einer Kontrollstelle eine Richterin oder ein Richter bereitgestellt wird, um sogleich eine richterliche Entscheidung herbeizuführen, besteht nicht. Der von der Klägerin angeführte Beschluss des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 5. Dezember 2001 – 2 BvR527/99, 1337, 1777/00 – zur prozessualen Überholung besagt nichts anderes. Entsprechendes gilt für den von der Klägerin gleichfalls angeführten Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 13. Dezember 2005 – 2 BvR447/05 –, der eine Freiheitsentziehung durch Ingewahrsamnahme betrifft und beim Blick auf den zeitlichen Ablauf vielmehr die Sicht des erkennenden Gerichts bestätigt.

b. Nach Durchführung des Datenabgleichs bestand für eine fortdauernde Freiheitsentziehung der Klägerin indes keine Rechtsgrundlage mehr. Wollte man eine Ingewahrsamnahme nach § 32Abs. 1 Nr. 2 HSOG zur Verhinderung einer Ordnungswidrigkeit mit erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit, die in der Teilnahme an einer vollziehbar verbotenen öffentlichen Versammlung zu sehen sei, annehmen, ließe sich dem dokumentierten Vorgehen keine entsprechende Erwägung oder Begründung entnehmen. Auch wäre deren Verhältnismäßigkeit in hohem Maße fraglich.

2. Die Behandlung der Klägerin als festgehaltener Person ist weder hinsichtlich ihrer Videographie (a.) noch darüber hinaus zu beanstanden (b.).

a. Die Videographie einer Person während einer Identitätsfeststellung ist in dem durch Art. 1 Nr. 4 Buchst. b des Achten Gesetz zur Änderung des Hessischen Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung vom 15. Dezember 2004 (GVBl. IS. 444) – in Abstimmung mit der Durchsuchung zur Eigensicherung nach § 36 Abs. 3 HSOG – angefügten § 14 Abs. 6HSOG abschließend geregelt. Danach können die Polizeibehörden an öffentlich zugänglichen Orten eine Person, deren Identität nach diesem Gesetz oder anderen Rechtsvorschriften festgestellt werden soll, mittels Bildübertragung offen beobachten und dies aufzeichnen, wenn dies nach den Umständen zum Schutz von Polizeivollzugsbeamtinnen und Polizeivollzugsbeamten oder Dritten gegen eine Gefahr für Leib oder Leben erforderlich ist. Zur Begründung heißt es in der Landtags-Drucksache 16/2352, S. 16:

„Abs. 6 enthält die Ermächtigung zum Einsatz von technischen Mitteln zur Anfertigung von Bildübertragungen und -aufzeichnungen zum Zwecke der Eigensicherung der Polizei an öffentlich zugänglichen Orten. In der Vergangenheit hat es mehrere Vorfälle mit tödlichem Ausgang für Polizeibeamte im Zusammenhang mit Verkehrskontrollen und sonstigen Personenkontrollen gegeben,die unter Berücksichtigung der steigenden Gewaltbereitschaft in der Gesellschaft eine Verbesserung der Eigensicherung der Polizei erforderlich machen. (…) Ziel der Maßnahme ist ausschließlich die Eigensicherung der Polizeibeamten bei Durchführung von Kontrollen. Sie soll dadurch erreicht werden, dass die zu kontrollierende Person durch die ihr erkennbare Überwachungsmaßnahme von Angriffen abgeschreckt wird. Schlägt dies im Einzelfall fehl, dürfen die Aufzeichnungen auch als Beweismaterial in einem Strafverfahren verwendet werden.“

Daraus folgt, dass „Umstände“ es zum Schutz von Polizeivollzugsbeamtinnen und -beamten vor einer Gefahr für Leib oder Leben erforderlich erscheinen lassen müssen, unter Einsatz von technischen Mitteln personenbezogene Daten zu erheben.Der (anders als „Tatsachen“ oder „tatsächliche Anhaltspunkte“) eher unbestimmte Begriff der „Umstände“ verlangt eine Prüfung des jeweiligen Einzelfalls, wobei solche vornehmlich bei der Einrichtung von Kontrollstellen zu bejahen sind (vgl. Hornmann, HSOG, 2. Aufl.– 2008, § 14 Rdnr. 63). Diese Voraussetzungen waren hier gegeben. Zunächst handelt es sich bei der Autobahnmeisterei um einen „öffentlich zugänglichen Ort“ im Sinne des Normbefehls. Dabei ist unerheblich, ob jedermann diesen Ort hätte betreten dürfen; maßgeblich ist vielmehr, dass es sich nicht um einen durch eine Privatsphäre geschützten Ort handelte (siehe auch Hornmann, a.a.O., Rdnr. 66). Darüber hinaus gilt entsprechendes wie oben zur Einrichtung der Kontrollstelle angeführt. Gerade im Hinblick auf die vorangegangenen „M 31“-Ausschreitungen ließen die „Umstände“ den Ausschluss des Antreffens potentiell gewaltbereite Personen nicht zu. Ob dies auch hinsichtlich der Person der Klägerin galt oder nicht, ist unerheblich.

Für eine Videographie zwecks Eigensicherung bei polizeilichen Maßnahmen zu anderen Zwecken als der Identitätsfeststellung steht §14 Abs. 6 HSOG als Eingriffsbefugnis nicht zur Verfügung. Die besondere Befugnis zur offenen Beobachtung festgehaltener Personen nach § 34 Abs. 3 Satz 4 HSOG betrifft den besonderen Fall einer Selbstgefährdung, der hier nicht einschlägig ist, schließt aber bei festgehaltenen Personen eine Datenerhebung zu anderen Zwecke nicht aus. Daher ermöglicht es die allgemeine Befugnis zur Erhebung personenbezogener Daten aus § 13 Abs. 1 Nr. 3 HSOG, etwa Zuordnungen von bestimmten Betroffenen zu bestimmten Sitzplätzen oder die Art und Weise eines anderen polizeilichen Vorgehens,besipielsweise die Durchsuchung der festgehaltenen Personen nach §36 Abs. 2 Nr. 1 HSOG oder mitgeführter Sachen nach § 37 Abs. 1 Nr.1, Abs. 2 Nr. 4 HSOG, zu dokumentieren, solange diese Maßnahme nicht in konkretisierter und individualisierter Weise die Privat-oder gar Intimsphäre einer bestimmten Person beeinträchtigt und daher einer eigenständigen Eingriffsbefugnis bedürfte, die derzeit freilich für offene Datenerhebungen über die Regelungsbereiche der §§ 14, 14a HSOG hinaus nicht bestünde. Denn maßgeblich ist hier die Dokumentation eines fehlerfreien Ablaufs, an der beide Seiten das gleiche Interesse haben. Dass im Fall der Klägerin diese Grundsätze missachtet wurden, ist nicht ersichtlich.

Die Frage nach einer erkennungsdienstlichen Behandlung der Klägerin durch Aufnahme von Abbildungen ist ein gegenüber der Art und Weise der Freiheitsentziehung selbständiger Streitgegenstand,über den deshalb hier nicht zu entscheiden ist. Insoweit käme eine auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Datenerhebung gerichtete Klage nur in Betracht, wenn feststünde, dass diese – ja auf ihre Vorrätighaltung ausgerichteten – Daten nicht mehr von einer Stelle des Beklagten gespeichert sind und so ihre Beschaffung nicht inzident mit einem auf Löschung gerichteten Begehren geprüft werden könnte.

b. Soweit nach § 34 Abs. 3 Satz 3 HSOG einer festgehaltenen Person nur solche Beschränkungen auferlegt werden dürfen, die der Zweck der Freiheitsentziehung erfordert, ist eine Verletzung der Klägerin in eigenen Rechten nicht festzustellen. Da die Identitätsfeststellung sowie der anschließende Datenabgleich hier zentral der vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten nach § 27 des Versammlungsgesetzes dienten, war die Anordnung, im Bus auf den Sitzen zu verbleiben, um tatsächlichen Veränderungen zu begegnen,gerechtfertigt.

II.

Die Kosten des Verfahrens sind nach § 155 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2VwGO zu teilen, weil die Beteiligten teils unterlegen sind, teils obsiegt haben. Dabei gewichtet das Gericht entsprechend der Kostengrundentscheidung. Für eine Anwendung des § 155 Abs. 1 Satz 3zugunsten des Beklagten sieht das Gericht wegen des grundrechtlichen Schutzes der Freiheit der Person keine Veranlassung.

III.

Die Regelung der vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 2 i. V. m. § 167 Abs. 1 Satz 1 VwGO, § 708 Nr. 11, § 711ZPO.

IV.

Gründe, aus denen nach § 124a Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 124 Abs.2 Nr. 3, 4 VwGO die Berufung zuzulassen wäre, sind nicht ersichtlich.