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Prognose - Meinungsäußerung oder Tatsachenbehauptung? OLG Düsseldorf

Eine Prognose ist eine Aussage über die Zukunft und daher grundsätzlich eine Meinungsäußerung und keine Tatsachenbehauptung. Das erläutert das OLG Düsseldorf in seinem Urteil vom 08.02.2012, I-15 U 164/11.

Die Frage, ob es sich bei einer Passage um eine Meinungsäußerung oder um eine Tatsachenbehauptung handelt, ist für die rechtliche Bewertung von großer Bedeutung. So ist zum Beispiel eine Gegendarstellung nur bei einer Tatsachenbehauptung möglich.

Im Gegensatz zu Meinungsäußerungen sind Tatsachenbehauptungen dem Beweis zugänglich. Eine Prognose ist aber eine Vorhersage und bezieht sich auf die Zukunft. Was aber in der Zukunft liegt ist nicht dem Beweis zugänglich und daher grundsätzlich keine Tatsachenbehauptung (das OLG Düsseldorf verweist dazu auf BGH, Urteil vom 25.11.1997, VI ZR 306/96, NJW 1998, 1123).

Allerdings könne auch bei der Abgabe einer Prognose die Aussage auf der Tatsachenebene liegen. Denn es könnten Aussagen über den Eintritt künftiger Ereignisse zugleich eine Aussage über eine gegenwärtige Tatsache enthalten. Das sei stets dann der Fall, wenn die Prognose aus Vorgängen in der Vergangenheit oder Gegenwart hergeleitet werde und wenn die Grundlage für die Prognose auf der Tatsachenebene liege. Prognosegrundlagen könnten aber auch auf der Meinungsebene liegen. Enthalte die Abgabe einer Prognose zwar ein zukünftiges Ereignis, werde damit aber gleichzeitig das gegenwärtige Handeln eines Dritten bewertet, so handele es sich um eine Meinungsäußerung bzw. um ein Werturteil.

Weiter heißt es dazu in dem Urteil des OLG Köln:

"Für die Beurteilung der Frage, ob eine Äußerung als Tatsachenbehauptung oder Meinungsäußerung bzw. Werturteil einzustufen ist, bedarf es nach ständiger Rechtsprechung der Ermittlung des vollständigen Aussagegehalts. Insbesondere ist jede beanstandete Äußerung in dem Gesamtzusammenhang zu beurteilen, in dem sie gefallen ist. Sie darf nicht aus dem sie betreffenden Kontext herausgelöst einer rein isolierten Betrachtung zugeführt werden (BGH, Urteil vom 22.09.2009, VI ZR 19/08, NJW 2009, 3580)".

Tenor und Gründe des Urteils finden Sie hier im Volltext:

Oberlandesgericht Düsseldorf, Urteil vom 28.02.2012, Aktenzeichen: I-15 U 164/11

Tenor:

 

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 25.08.2011 verkündete Urteil der 17. Zivilkammer des Landgerichts Wuppertal teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:

Den Verfügungsbeklagten wird es bei Meidung eines Ordnungsgeldes von 5,00 € bis 250.000,00 €, an dessen Stelle im Falle der Uneinbringlichkeit eine Ordnungshaft bis zu 6 Monaten tritt, oder von Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, im Fall der Zuwiderhandlung durch die Verfügungsbeklagte zu 1 zu vollziehen an einem Vorstandsmitglied, im Fall der Zuwiderhandlung durch die Verfügungsbeklagte zu 2 zu vollziehen an dieser, untersagt, wörtlich oder sinngemäß zu behaupten, das Café F. mit dem G. Hof sei das einzige Gebäudeareal des Verfügungsklägers in G., das ordnungsgemäß betrieben werde, wie geschehen in der Veröffentlichung "Großgrundbesitz in kleinen Gässchen" in der Ausgabe Sommer 2011 der Zeitschrift „A.".

Im Übrigen wird der Antrag des Verfügungsklägers auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückgewiesen.

Die Kosten des einstweiligen Verfügungsverfahrens erster Instanz tragen der Verfügungskläger zu 2/3 und die Verfügungsbeklagten als Gesamtschuldner zu 1/3.

Von den Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Verfügungskläger vorab die Hälfte der Gerichtskosten. Die Übrigen Kosten des Berufungsverfahrens tragen der Verfügungskläger zu 2/3 und die Verfü-gungsbeklagten als Gesamtschuldner zu 1/3.


Gründe:

I.


Der Verfügungskläger nimmt die Verfügungsbeklagten im Wege der einstweiligen Verfügung auf Unterlassung von Äußerungen in Anspruch.


Die Verfügungsbeklagte zu 1, die Bundespartei B., handelnd durch den Kreisverband S., ist Verlegerin der Zeitschrift "A.", die auch im Internet veröffentlicht wird. Die Verfügungsbeklagte zu 2 ist die Autorin eines Artikels unter der Überschrift "Großgrundbesitz in kleinen Gässchen", der in der Ausgabe Sommer 2011 der Zeitschrift "A." erschienen ist.


Der Verfügungskläger ist Eigentümer verschiedener Immobilien in S.-G., die teilweise unmittelbar in seinem Eigentum stehen, teilweise Gesellschaften gehören, deren alleiniger Gesellschafter er ist.


In dem streitgegenständlichen Artikel heißt es – nach einer Auflistung der Objekte, die im Eigentum des Verfügungsklägers stehen – auszugsweise wie folgt:


"Das einzige Gebäudeareal, das Herr B. ordnungsgemäß betreibt, indem er es der gastronomischen Nutzung mit Hotelbetrieb zugeführt hat, ist das Kaffee F. mit dem G. Hof.


Das Hotel J. wird lediglich sporadisch für die Bewirtung von Gesellschaften genutzt. Es ist erheblich modernisierungsbedürftig.


Das ehemalige Gasthaus C. soll für ein weiteres Gästehaus etwa für die Süßwarenfachschule umgebaut werden. Ebenso das Haus D..


Das E. wird als Speisegaststätte im bayerischen Stil geführt.


Der dahinter liegende K. steht seit der Übernahme durch Herrn B. den Vereinen und sonstigen öffentlichen Veranstaltungen nicht mehr zur Verfügung. Der Eigentümer hatte … zwar sein Versprechen gegeben …, den Saal nach Renovierung und Umbau des nebenan befindlichen H. für die Allgemeinheit bzw. die Vereine zu öffnen. Diese Zusage wurde bisher leider nicht eingelöst.


Das H. steht seit über zehn Jahren leer und gammelt vor sich hin. Mal möchte der Eigentümer eine Tiefgarage bauen, mal den Hang abtragen und das Gebäude für seine Gäste des G.er Hofs als Frühstücksräumlichkeiten nutzen etc. Die Planungen wechseln wie das Fähnchen im Wind. Obwohl durch eine B-Planänderung die Möglichkeiten einer gastronomischen Nutzung erweitert wurden, sind keine Aktivitäten festzustellen. …


Was mit dem Gebäude der ehemaligen Bäckerei geschehen soll, ist unklar. …


Das für die künftige Entwicklung G.s bedeutendste Areal ist die Fläche des G.er Bahnhofs … Inzwischen hat das Verwaltungsgericht anders entschieden, so dass das Gebäude dem Abriss anheimfällt. Der Eigentümer hat für dieses Areal nach wie vor die Errichtung eines Vollsortimenters vor und ggf. Büronutzung … Die städtischen und politischen Vorstellungen sehen jedoch für dieses Gelände Wohnbebauung vor. Auch für das G.er Bahnhofsgelände wird eher eine kleinteilige Nutzung ohne Veränderung der Korkenziehertrasse bevorzugt. Kleine Gastronomie für die Trasse sowie Handwerksbetriebe – so könnte eine passende Nutzung aussehen.


Unser Bestreben muss sein, eine möglichst breite Beteiligung der betroffenen G.er Bevölkerung zu initiieren, damit der Eigentümer seine Planungen am Allgemeinwohl orientieren muss und nicht allein an seinen wirtschaftlichen Interessen. Für das Gelände der Gewerbefläche … ist noch keine konkrete Planung vorhanden. Auch Herr B. schwankt zwischen Weideplatz für Galloway-Rinder, Hotelbau für die Firmen am P. oder Wohnnutzung bzw. Künstlerateliers.


Die Situation in G. zeigt, wie gefährlich und hinderlich die Herrschaft eines Großgrundbesitzers sein kann, insbesondere wenn diesem die Verantwortung für die Allgemeinheit fehlt.


Eigentum verpflichtet – das sollte auch seitens der städtischen Bauverwaltung dem Eigentümer immer wieder klar gemacht werden.


Ansonsten droht G. Leerstand und Dahingammeln, was wenig anziehend ist, so dass auch die wenigen überlebenden Geschäftsbetriebe bedroht sind."


Wegen der weiteren Einzelheiten des Inhalts des Artikels wird auf die Ablichtung (Anlage 1 zum Schriftsatz des Verfügungsklägers vom 12.08.2011) Bezug genommen.


Das Hotel J. hat der Verfügungskläger im Jahr 2007 erworben, zu diesem Zeitpunkt befand es sich in einem desolaten Zustand und wurde nur in sehr geringem Umfang genutzt. Der Verfügungskläger hat für ca. 50.000,00 € die Fassade verschiefern und die Schlagläden in Sonderanfertigung herstellen lassen. Ferner hat er für ca. 35.000,00 € eine Innenrenovierung (Restaurant, Postillion) vornehmen lassen. Dadurch sind mehr Hotelgäste zu verzeichnen, das Restaurant wird vermehrt für gesellschaftliche Veranstaltungen genutzt.


Das Gasthaus C. hat der Verfügungskläger im Rahmen eines Zwangsversteigerungsverfahrens, das seit Juli 2011 abgeschlossen ist, erworben. Der Verfügungskläger hat verschiedene Renovierungsarbeiten vornehmen lassen (Lokalität, Kühlkeller, Toiletten, Gastraum) und die beantragte Konzession für den Betrieb einer Gaststätte erhalten. Derzeit führt er Gespräche mit Pachtinteressenten.


Das Grundstück D. hat der Verfügungskläger im Jahr 2009 erworben, beim Erwerb befand es sich in einem schlechten Zustand. Er hat das Haus im Jahr 2011 vollständig entkernt und saniert, was auch nach außen hin sichtbar war. Der Abschluss der Arbeiten war für Ende 2011 geplant.


Bei der Gaststätte G. er E. handelt es sich um ein unter Denkmalschutz stehendes Gebäude aus dem Jahr 1614. Die darin betriebene Gaststätte ist täglich mit durchgehender Küche geöffnet. Der Verfügungskläger hat das Objekt restauriert.


Den dahinterliegenden K. hat der Verfügungskläger im Jahr 2003 erworben, bereits vor seinem Erwerb sind in dem Saal keine Veranstaltungen durchgeführt worden, da keine Konzession mehr bestand. Der Verfügungskläger plant mit hohen Investitionen eine Sanierung, die Eröffnung ist noch in diesem Winter geplant.


Das H. stand vor dem Erwerb des Verfügungsklägers drei Jahre lang leer und war einsturzgefährdet. Der Verfügungskläger hat Stahlträger einziehen lassen und Maßnahmen zur Erhaltung der Substanz getroffen. Derzeit finden Abstimmungen zur Nutzung mit der Stadtverwaltung statt.


Die ehemalige Bäckerei hat der Verfügungskläger im Jahr 2009 erworben, zuvor wurde das Gebäude 5 Jahre lang nicht genutzt und war entsprechend verfallen. Der Verfügungskläger plant Investitionen von 2 Millionen € in das denkmalgeschützte Objekt.


Den ehemaligen G.er Bahnhof hat der Verfügungskläger im Jahr 2000 erworben. Der Verfügungskläger hatte beabsichtigt, das Gebäude abreißen lassen, was ihm durch die Stadt zu Unrecht verweigert worden war. Erst nach einem Rechtsstreit über mehrere Jahre wurde ihm durch das Verwaltungsgericht das Recht auf Abriss zuerkannt, das Urteil ist seit Ende 2010 rechtskräftig. Derzeit gibt es keine Interessenten für eine Nutzung.

Ferner unterhält der Verfügungskläger eine Gewerbefläche am Ortsausgang, die seit Jahren bewirtschaftet wird. Die Fläche ist zum Teil vermietet, zum Teil wird sie forst- und landwirtschaftlich genutzt.


Der Verfügungskläger hat die Auffassung vertreten, der Artikel im "A." enthalte unwahre Tatsachenbehauptungen.


Der Verfügungskläger hat beantragt,


im Wege der einstweiligen Verfügung den Verfügungsbeklagten bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung fälligen Ordnungsgeldes von bis zu 250.000,00 €, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft von bis zu 6 Monaten, zu untersagen, wörtlich oder sinngemäß zu behaupten,


a.


Das Kaffee F. mit dem G.er Hof sei das einzige Gebäudeareal des Verfügungsklägers in G., das ordnungsgemäß betrieben werde,


und/oder


b.

 

G. drohe Leerstand und ein Dahingammeln, insbesondere in Bezug auf folgende Liegenschaften in S.-G.


Hotel J.
Gasthaus C.
D.
E.
K.
H.
ehemalige Bäckerei
G.er Bahnhof
Gewerbefläche L. Straße



insbesondere unter Hervorrufung des Eindrucks, Grund hierfür seien Entscheidungen des Verfügungsklägers,


wie dies in der Veröffentlichung "Großgrundbesitz in kleinen Gässchen" in der Ausgabe Sommer 2011 der Zeitschrift "A." erfolgt.


Die Verfügungsbeklagten haben beantragt,


den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückzuweisen.


Das Landgericht hat nach mündlicher Verhandlung die einstweilige Verfügung antragsgemäß durch Urteil erlassen.


Gegen diese Entscheidung haben die Verfügungsbeklagten Berufung eingelegt. Mit der Berufung haben sie das erstinstanzliche Urteil zunächst insgesamt angegriffen und ihr Begehren auf Zurückweisung des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Verfügung weiterverfolgt.


Die Verfügungsbeklagten vertreten unter näherer Darlegung der Einzelheiten die Auffassung, der Artikel enthalte lediglich Meinungsäußerungen. Hinsichtlich der Grundstücke des Verfügungsklägers sei in dem Artikel nicht die Rede von Leerstand oder künftigem Dahingammeln, mit Ausnahme der Gebäude, die unstreitig leer stünden.


Die Verfügungsbeklagten haben in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat die Berufung zurückgenommen, soweit es um die Rechtsverteidigung gegen den Antrag zu a) geht.


Die Verfügungsbeklagten beantragen,


das Urteil des Landgerichts Wuppertal vom 25.08.2011 abzuändern und den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückzuweisen, soweit das Landgericht ihnen im Wege der einstweiligen Verfügung bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung fälligen Ordnungsgeldes von bis zu 250.000,00 €, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft von bis zu 6 Monaten, untersagt hat, wörtlich oder sinngemäß zu behaupten, G. drohe Leerstand und ein Dahingammeln, insbesondere in Bezug auf folgende Liegenschaften in S.-G.


Hotel J.
Gasthaus C.
D.
E.
K.
H.
ehemalige Bäckerei
G.er Bahnhof
Gewerbefläche L. Straße



insbesondere unter Hervorrufung des Eindrucks, Grund hierfür seien Entscheidungen des Verfügungsklägers, wie dies in der Veröffentlichung "Großgrundbesitz in kleinen Gässchen" in der Ausgabe Sommer 2011 der Zeitschrift "A." erfolgt.


Der Verfügungskläger beantragt,


die Berufung zurückzuweisen.


Er vertieft und ergänzt seinen erstinstanzlichen Vortrag, wonach der Artikel unwahre Tatsachenbehauptungen enthalte.


II.


Die Berufung ist zulässig und hat in der Sache im zuletzt beantragten Umfang auch Erfolg.


Der Verfügungskläger hat keinen Anspruch aus §§ 823 Abs. 1, 1004 Abs. 1 BGB mit dem Inhalt, den Verfügungsbeklagten zu untersagen, zu behaupten, G. drohe Leerstand und ein Dahingammeln, insbesondere in Bezug auf die näher bezeichneten Liegenschaften des Verfügungsklägers in S.-G., insbesondere unter Hervorrufung des Eindrucks, Grund hierfür seien Entscheidungen des Verfügungsklägers.


Die maßgebliche Passage, in der die "drohende" Situation geschildert wird, lautet:


"… Ansonsten droht G. Leerstand und Dahingammeln, was wenig anziehend ist, so dass auch die wenigen überlebenden Geschäftsbetriebe bedroht sind."


Bei dieser Wendung geht es um Ereignisse, die erst für die Zukunft als eintretend dargestellt werden, mithin um eine sog. Prognose. Eine Prognose ist eine Vorhersage, also eine Aussage über die Zukunft (Burkhardt, in: Wenzel, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 5. Aufl., Kap. 4, Rn. 64). Da etwas, was noch nicht geschehen ist, keines Beweises zugänglich ist, stellen Prognosen grundsätzlich keine Tatsachenbehauptungen dar (BGH, Urteil vom 25.11.1997, VI ZR 306/96, NJW 1998, 1123).


Allerdings kann auch bei der Abgabe einer Prognose die Aussage auf der Tatsachenebene liegen (Burkhardt, a.a.O.). Aussagen über den Eintritt künftiger Ereignisse können zugleich eine Aussage über eine gegenwärtige Tatsache enthalten (BGH, a.a.O.). Das ist immer dann der Fall, wenn die Prognose aus Vorgängen in der Vergangenheit oder Gegenwart hergeleitet wird, nämlich in dem Sinne, dass aus einem früheren oder derzeitigen Verhalten auf ein bestimmtes Verhalten in der Zukunft geschlossen wird (BGH, a.a.O.) oder – um es mit Burckhardt (a.a.O.) auszudrücken, wenn die Grundlage für die Prognose hinreichend deutlich in Erscheinung tritt.


Allerdings muss dann diese Grundlage ihrerseits auf der Tatsachenebene liegen, was nicht zwingend der Fall sein muss, denn Prognosegrundlagen können auch auf der Meinungsebene liegen (Burckhardt, a.a.O.). Enthält die Abgabe einer Prognose zwar ein zukünftiges Ereignis, wird damit aber gleichzeitig das gegenwärtige Handeln eines Dritten bewertet, so handelt es sich um eine Meinungsäußerung bzw. um ein Werturteil (vgl. Burkhardt, a.a.O.).


Für die Beurteilung der Frage, ob eine Äußerung als Tatsachenbehauptung oder Meinungsäußerung bzw. Werturteil einzustufen ist, bedarf es nach ständiger Rechtsprechung der Ermittlung des vollständigen Aussagegehalts. Insbesondere ist jede beanstandete Äußerung in dem Gesamtzusammenhang zu beurteilen, in dem sie gefallen ist. Sie darf nicht aus dem sie betreffenden Kontext herausgelöst einer rein isolierten Betrachtung zugeführt werden (BGH, Urteil vom 22.09.2009, VI ZR 19/08, NJW 2009, 3580). So dürfen aus einer komplexen Äußerung nicht Sätze oder Satzteile mit tatsächlichem Gehalt herausgegriffen und als unrichtige Tatsachenbehauptung untersagt werden, wenn die Äußerung nach ihrem - zu würdigenden - Gesamtzusammenhang in den Schutzbereich des Grundrechts auf freie Meinungsäußerung gemäß Art. 5 Abs. 1 GG fallen kann und in diesem Fall eine Abwägung zwischen den verletzten Grundrechtspositionen erforderlich wird (BGH, a.a.O.). Dabei ist zu beachten, dass sich der Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG auch auf die Äußerung von Tatsachen erstreckt, soweit sie Dritten zur Meinungsbildung dienen können, sowie auf Äußerungen, in denen sich Tatsachen und Meinungen vermengen und die insgesamt durch die Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt werden (BGH, a.a.O.).


Betrachtet man die Kritik der Verfügungsbeklagten zu 2 in Bezug auf die Objekte des Klägers im Einzelnen, wird deutlich, dass in dem Artikel einzig in Bezug auf das Objekt "H." ein über zehnjähriger Leerstand und Dahingammeln behauptet wird, und dieser Tatbestand von den Verfügungsbeklagten ausweislich der Berufungsbegründung auch tatsächlich zum Beleg für ihre These genommen wird, jedenfalls in Bezug auf dieses Grundstück drohe auch weiter Leerstand. Was die anderen Objekte angeht, geht die Detailkritik der Verfügungsbeklagten zu 2 jeweils in eine Richtung, die mit Leerstand bzw. Dahingammeln entweder überhaupt nichts oder jedenfalls nicht schwerpunktmäßig zu tun hat.


So soll das Hotel J. lediglich sporadisch für die Bewirtung von Gesellschaften genutzt werden. Beim C. wird nicht etwa der Leerstand, sondern der Umbau für eine Süßwarenfachschulemoniert. Das Haus D. wird an dieser Stelle ohne weitere Details "ebenso" qualifiziert. Beim E. wird sogar der Betrieb konstatiert und allein darauf abgestellt, dass die Gaststätte im bayerischen Stil geführt werde. Bezüglich des dahinterliegenden K.s wird das angebliche Versprechen des Verfügungsklägers, den Saal nach Umbau und Renovierung des benachbarten H. für die Allgemeinheit bzw. das Vereinsleben zu öffnen, eingefordert. Was den G. Bahnhof angeht, wird nicht eigentlich der gegen die Gemeinde durchgesetzte Abriss kritisiert, die Kritik richtet sich vielmehr in erster Linie gegen die von den Vorstellungen sowohl der Gemeinde (Wohnbebauung) als auch der Verfügungsbeklagten zu 2 selber (kleine Gastronomie und Handwerksbetriebe) abweichende Verwendungsabsicht des Verfügungsklägers (Errichtung eines Vollsortimenters und ggf. Büronutzung). Ferner wird das zu erwartende hohe Verkehrsaufkommen problematisiert. Für das Gelände der Gewerbefläche entlang der L. Straße am Ortsausgang werden die fehlende klare Planung kritisiert und drei unterschiedliche klägerische Planungsalternativen erwähnt. Schließlich "sei unklar", was mit der ehemaligen Bäckerei geschehen solle, deren – unstreitiger – Leerstand zwar nicht explizit behauptet wird, sich allerdings anhand des nebenstehenden Fotos vermuten lässt.


Das Fazit dieser Kritik lässt erkennen, dass diese sich in einer Bandbreite bewegt, die von reinen Stilfragen (E.), abweichenden entwicklungspolitischen Vorstellungen (G. Bahnhof, C. und D.), bis hin zu wirklichen – den Leerstand monierenden – Tatsachenbehauptungen reicht. Es wird der Bereich reiner Wertungen einerseits bis hin zu echten Tatsachenbehauptungen abdeckt, weshalb sich mithin die Prognosegrundlage weder allein der Meinungs- noch der Tatsachenebene zuordnen lässt. Liegen die Dinge aber so, dann erstreckt sich der Schutzbereich von Art. 5 Abs. 1 GG auf die hier eindeutig auch der politischen Meinungsbildung dienende Äußerung im letzten Satz des Artikels.


Unter diesen Umständen vermag der Senat schon der Vorstellung des Verfügungsklägers nicht zu folgen, der Antrag zu b trage in seiner Formulierung der konkreten Verletzungsform Rechnung. Gemessen an den vorstehenden Überlegungen trifft eben schon die Wendung in der Antragstellung nicht zu, wenn es dort heißt, G. drohe Leerstand und Dahingammeln bezogen auf sämtliche der dort genannten Liegenschaften. Explizit erfolgt sie nur in Bezug auf das H. und gäbe, selbst wenn man insoweit von einer Tatsachenbehauptung ausgeht und die Antragstellung für teilbar hielte, auch dann keinen Grund für ein auch nur partielles Stattgeben des Antrags zu b). Denn dass jedenfalls das H. seit 10 Jahren leer steht und, da konkrete Planung nicht behauptet werden, auf unabsehbare Zeit auch weiter leer stehen wird, steht zwischen den Parteien überhaupt nicht im Streit. Soweit der Verfügungskläger meint, wegen des Einziehens von Stahlträgern könne jedenfalls nicht von Dahingammeln mehr gesprochen werden, darf nicht übersehen werden, dass es sich jedenfalls bei dieser Wendung ihrerseits wiederum um einen wertenden Begriff handelt, der je nach persönlicher Haltung und Perspektive unterschiedliche Sichtweisen zulässt. Zwar mag der Verfügungskläger mit dem Einziehen von Stahlträgern den ersten und am Ende gar grundlegenden Schritt getan haben, den weiteren Verfall dieses Gebäudes aufzuhalten. Wenn die Verfügungsbeklagten das Fehlen weiterer Schritte angesichts einer nunmehr über zehnjährigen Besitzzeit zum Anlass einer Bemerkung als Dahingammeln nehmen, dann mag man das falsch oder richtig halten, eines Wahrheitsbeweises ist eine solche wertende Einschätzung indes nicht zugänglich.


Darüber hinaus ist die streitgegenständliche Äußerung auch im Kontext mit dem vorangehenden Absatz zu sehen, der wie folgt lautet: "Unser Bestreben muss sein, eine möglichst breite Beteiligung der betroffenen G.er Bevölkerung zu initiieren, damit der Eigentümer seine Planungen am Allgemeinwohl orientieren muss und nicht allein an seinen wirtschaftlichen Interessen. … Die Situation in G. zeigt, wie gefährlich und hinderlich die Herrschaft eines Großgrundbesitzers sein kann, insbesondere wenn diesem die Verantwortung für die Allgemeinheit fehlt. Eigentum verpflichtet – das sollte auch seitens der städtischen Bauverwaltung dem Eigentümer immer wieder klar gemacht werden." Hierin enthalten ist die Überlegung der Verfügungsbeklagten zu 2, einen Aufruf an die Bevölkerung zu starten, um den Eigentümer dazu zu bewegen, seine Planungen (auch) am Allgemeinwohl auszurichten. Damit wird das Verhalten des Verfügungsklägers bewertet, der sich nicht bzw. nicht hinreichend am Allgemeinwohl orientiere, sondern allein an seinen wirtschaftlichen Interessen. In dem Zusammenhang ruft die Verfügungsbeklagte zu 2 das grundgesetzliche Gebot "Eigentum verpflichtet" in Erinnerung. Sodann folgt die vom Verfügungskläger angegriffene Passage, "ansonsten droht G. Leerstand und Dahingammeln …". Die Äußerung ist damit so zu verstehen, dass sie die Gefahr sieht, dass in Zukunft in der G.er Innenstadt leer stehende und dahingammelnde Gebäude vorzufinden sind. Sie sieht also den Verfügungskläger in der Verantwortung, durch die Bewirtschaftung seiner Gebäude dazu beizutragen, dass die Innenstadt von S.-G. für die Bevölkerung wieder attraktiv wird.


Unter Berücksichtigung aller aufgezeigten Umstände fällt die Äußerung damit unter den Schutz des Art. 5 Abs. 1 GG. Dem Grundrecht der Meinungsfreiheit gem. Art. 5 Abs. 1 GG ist im vorliegenden Fall auch der Vorrang vor dem Persönlichkeitsrecht des Verfügungsklägers zu geben. Bei der Frage der Gestaltung der Innenstadt von G. geht es um eine die Öffentlichkeit wesentlich berührende Frage, so dass ein gesteigertes Schutzbedürfnis besteht.


Der Verfügungskläger kann daher hinsichtlich dieser Äußerung keine Unterlassung verlangen.


III.


Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 92 Abs. 1 S. 1 ZPO. Bei der Kostenentscheidung ist dem Umstand Rechnung zu tragen, dass die Verfügungsbeklagten die Berufung teilweise zurückgenommen haben.


Mit Rücksicht darauf, dass nach § 542 Abs. 2 ZPO gegen Urteile, durch die über die Anordnung einer einstweiligen Verfügung entschieden wird, die Revision nicht statt findet, ist das Berufungsurteil mit seiner Verkündung rechtskräftig geworden, so dass es eines gesonderten Ausspruchs zur Vollstreckbarkeit nicht bedarf.