Donnerstag, 14. November 2013
Wikipedia haftet erst ab Kenntnis von persönlichkeitsrechtsverletzenden Beiträgen der User, wie das OLG Stuttgart in einem aktuellen Urteil ausführt. Dazu bezieht sich das Gericht auf die für Host-Provider entwickelten Grundsätze der Störerhaftung.
Der Kläger begehrte von der Beklagten, die die Online-Enzyklopädie „Wikipedia“ betreibt (www.wikipedia.de), Unterlassung mehrerer Äußerungen über ihn in der deutschsprachigen Version der Online-Enzyklopädie „Wikipedia“ sowie die Erstattung von Abmahnkosten.
Störerhaftung und Host-Provider
Das OLG Stuttgart wendet in seinemt Urteil vom 2.10.2013, 4 U 78/13, die Grundsätze der Störerhaftung an, die der Bundesgerichtshof in den Entscheidungen „Blog-Eintrag“ (GRUR 2012, 311 Tz. 20 ff.) und „RSS-Feeds“ (NJW 2012, 2345 = GRUR 2012, 751 Tz. 17 ff.) für Host-Provider aufgestellt hat, welche die technische Infrastruktur und den Speicherplatz für Blogs zur Verfügung stellen oder ein Informationsportal betreiben.
Stelle der Betreiber einer Online-Enzyklopädie den Nutzern nur die Plattform und einen Speicherplatz zur Verfügung, damit diese selbst verfasste Beiträge hinterlegen können, ohne dass eine Vorabkontrolle oder eine nachträgliche Steuerung durch eine Redaktion stattfindet, würden ihn grundsätzlich hinsichtlich persönlichkeitsrechtsbeeinträchtigender Inhalte keine proaktiven Prüfungspflichten treffen. Er hafte jedoch nach den von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs für sog. Host-Provider entwickelten Grundsätzen als Störer, wenn er vom Verletzten über persönlichkeitsrechtverletzende Inhalte in Kenntnis gesetzt werde und dennoch nicht reagiere.
Ein Unterlassungsanspruch sei dann nur hinsichtlich der Begehungsform des Verbreitens gegeben und - mangels Begehungsgefahr - nicht hinsichtlich der Begehungsform des Behauptens.
Online-Archiv-Rechtsprechung - hier keine archivierte Altmeldung
Die von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs entwickelten Grundsätze für die Zulässigkeit der Abrufbarkeit älterer Artikel in Online-Archiven von Publikationsorganen - vgl. dazu die Entscheidung „Gazprom-Manager“ (GRUR 2013, 94 = NJW 2013, 229) - seien auf Beiträge (etwa Kurzbiographien) in derartigen Online-Enzyklopädien, die auf Aktualisierung angelegt sind, nicht übertragbar.
Entscheidend sei, dass es sich bei den Artikeln in der Online-Enzyklopädie der Beklagten gerade nicht um archivierte Altmeldungen handeln würde, welche nur für solche vorgesehene Internetseiten zugänglich und als solche ausdrücklich gekennzeichnet oder klar erkennbar wären. Vielmehr würde die Funktionsweise der Enzyklopädie der Beklagten ja darauf beruhen, dass ihre Nutzer die vorhandenen Einträge und Artikel ständig aktualisieren (können).
identifizierende Berichterstattung
Die von der Rechtsprechung für die Zulässigkeit einer identifizierenden Berichterstattung über strafprozessuale Ermittlungsverfahren und Strafanzeigen und zur Verdachtsberichterstattung entwickelten Grundsätze seien auf die Berichterstattung über behördliche Verfahren jedenfalls dann zu übertragen, wenn diese die Überprüfung von Vorwürfen zum Gegenstand haben, die den Ruf des Betroffenen in ähnlich schwerwiegender Weise betreffen wie der Vorwuf einer Straftat.
Seien die in einem solchen Verfahren geprüften Vorwürfe unstreitig unwahr, so würde bei der vorzunehmenden Abwägung zwischen dem Persönlichkeitsrecht des Betroffenen einerseits und dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit sowie der Meinungsfreiheit andererseits das Persönlichkeitsrecht bei fehlender Aktualität regelmäßig auch dann überwiegen, wenn gleichzeitig die Einstellung des Verfahrens mitgeteilt werde.
Im Ergebnis wurde Wikipedia zu der Unterlassung der Verbreitung bestimmter persönlichkeitsrechtsverletzender Behauptungen verurteilt.
Das Urteil des OLG Stuttgart finden Sie hier im Volltext.
Rechtsanwältin Amrei Viola Wienen, Fachanwältin für Urheber- und Medienrecht Wirtschaftsmediatorin (IHK) Anwaltskanzlei Wienen, Kanzlei für Medien & Wirtschaft Kurfürstendamm 125 A 10711 Berlin Telefon: 030 / 390 398 80 www.Kanzlei-Wienen.de |